Don Quijote trifft Hamlet

Stefan Sells Umgang mit seiner Wahrheit

Im Grunde wendet sich Stefan Sell damit zwei Figuren zu, deren Anziehungskraft in der sehr individuellen Deutung oder Umdeutung unterschiedlicher zu anderen Einschätzungen nicht sein könnte.

Während Stefan Sell - nicht unbedingt für jeden nachvollziehbar - die beiden Figuren selbst sehr eigenwillig positiv beschreibt ...

[...] Eigentlich ist im Innersten jeder ein Don Quijote. Nach außen wird meist der Sancho Pansa gelebt, das Gewöhnliche, das Gemeine, das Alltägliche. Im Innern schlummern die Träume, der Zauber, die Abenteuerlust, das Wagnis, der unstillbare Lebensdurst. Don Quijote träumt davon, die Welt zu verbessern. Sein Scheitern ist programmiert, aber  sein unbeirrbarer Versuch verändert letztendlich Mitmenschen wie Umfeld.

Doch wer kennt nicht den Zweifler in sich, den, der alles hinterfragt, analytisch seziert, um jede Art von Risiko zu vermeiden? Wer sucht nicht ein Handeln ohne Reue? Hamlet steht für Spürsinn, Logik, schnelles Erfassen der Situation, messerscharfe Intelligenz. Sein stetes Umsichkreisen, Hadern, Zögern zeigt, wie schwer es sein kann, in Gang zu kommen. Und am Schluss  - tut er’s doch - zu einem hohen Preis!

Wer sind wir? Don Quixote oder Hamlet? Was zählt? "Trial and Error!" oder  "No Trial, No Error!" [...]

Quelle: https://www.stefansell.com/programme

...erschließt sich anderen "Gutachtern" ein ganz anderes Bild:

[...] HAMLET: Auflösung und Sinnentleerung

Die Helden der shakespeareschen Dramen erfüllen ein Schicksal, das durch die Widersprüche ihrer Zeit evoziert wird. Insbesondere Hamlet, ein reflektierender Melancholiker, spürt, dass eine ewig geglaubte Ordnung zerbrochen ist und jeden Sinn verloren hat.

Während der Mensch im Rahmen festgefügter Ordnungssysteme Geborgenheit und Bestätigung findet, erlebt er jetzt einen Zustand der Auflösung und Sinnentleerung. Hamlet, der auf diese Entwicklungen überaus sensibel reagiert, verliert den Bezug zur Wirklichkeit und gerät nach und nach in eine lebensbedrohende Isolation, aus der kein Weg zurück möglich scheint.

In diesem Zustand wird der festeste Glaube zum Wahnsinn, da der subjektiven Wahrnehmung keine objektive Wirklichkeit mehr entspricht.Der Kampf des Individuums gegen die Niedertracht der äußeren Welt ist ein vergeblicher; zu mächtig sind die Widerstände, die sich seiner Selbstverwirklichung entgegenstellen.

So nimmt das Drama seinen Lauf: Hamlet erleidet ein Schicksal, das von fremden Mächten diktiert wird – er ist nur noch Spielball von Kräften, die er weder beherrscht noch begreift. Sein Widerstand schwindet, indem er sich den fremden Einflüssen unterwirft. Am Ende bleiben Verzweiflung, Resignation, ja: Schicksalsergebenheit. [...]

Quelle:  https://www.blog-der-republik.de/der-idealist-und-der-zweifler-don-quijote-und-hamlet-zwei-exemplarische-modellfiguren-fuer-die-verwirrungen-der-beginnenden-moderne/

 Gibt es eine enge Zugewandtheit zu Don Quijote, der es mit der Wahrheit nicht ganz so genau nahm? Ist es vielleicht ein Indiz für eine tiefe Verbundenheit mit dem Gedanken, dass er ebenfalls "seine eigene Wahrheit" in "seinem Spanien" hat?

Ist die Beschäftigung oder gar Verehrung der Figuren Don Quijotes und Hamlets ein Hinweis vielleicht auf eine familiäre Tragödie der Zuwendung an das Scheitern, der eigenen Selbstüberschätzung und Flucht in eine "wahnsinnige" Welt?

Wie kommt es zu Sell's Behauptung, "eigentlich ist im Innersten jeder ein Don Quijote"? Vielleicht eine Fehleinschätzung, die daraus erblüht, dass die eigenen Auffassung darin besteht, ihm unwidersprochen zustimmen zu können, ja sogar zu müssen? Ich persönlich sehe eher eine extreme Diskrepanz dreier Brüder in Ihrer Bereitschaft sich dem Scheitern oder gar einer Scheinwelt zu widmen. Hamlet ist für mich treffender beschrieben als ein Wahnsinniger im wörtlichen Sinn des Wortes, der zudem sich auch noch intensiv massiver Rachegelüste widmet, anstatt etwas Produktives zu erschaffen. Am Ende sterben zu allem Überdruss alle Beteiligte an einer wahnsinnigen Verwechslungsorgie, oder milde gesagt einem wenig scharfsinnigen und ebenso wenig aufmerksamen Verhalten. Ein negativer Strudel, der alles Reale und Kreative verschlingt und am Ende jegliche wahre soziale Verbindung "tötet".

Don Quijote und Sancho Panza (übersetzt Sancho Bauch oder Wanst), …der Dürre Vergeistigte und der bodenständige Dicke helfen sich da ebenso wenig gegenseitig am großen Scheitern.  

Wie bekannt ist, nahm es Don Quijote mit der Wahrheit nicht ganz so genau. Seine Wahrheit war, lassen Sie uns es diplomatisch formulieren, eine Andere.

Ich fand eine schöne Stelle zum Thema "Don Quijote" in der Berliner Zeitung:

[...[ Gefährlich ist es auch, weil man beim Lesen drauf und dran ist, es diesem Don Quijote gleich zu tun, sich irgendeinen Gaul zu satteln und in die Welt so lange hinauszureiten, bis es sie gibt, obwohl sie schlicht erfunden ist. [...]

QUELLE: https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/400-todestag-der-traurige-boese-witz-von-william-shakespeare-und-miguel-de-cervantes-li.61454#

Wie sehr nun der Gitarrist Stefan Sell und sein Bruder Achim sich später mit Don Quijote & Sancho Panza identifizierten oder sogar infizierten und daher es auch nicht so genau mit der Wahrheit nahmen, zeigt sich eventuell in Stefan Sells  Programm „Don Quijote trifft Hamlet“.  

So lassen sich jedoch auch bereits in seinen Programmankündigungen einige ausfindig gemachte Parallelen erahnen. 

Das sagt Stefan Sell selbst über sein Programm "Don Quijote trifft Hamlet":

[…] Was verbindet die beiden Hauptfiguren dieser Werke? Worin finden wir uns mehr, in einem alles wagenden Don Quijote oder einem an allem zweifelnden Hamlet?  Hamlet wie Don Quijote suchen die Gerechtigkeit in einer Welt, in der es so scheint, als ginge es lediglich um die eigenen persönlichen Vorteile. […] - QUELLE: Stefan Sell (leserattenservice.de)

 (Kommentar: Schimmert da bereits frühzeitig die Erklärung für spätere familiäre Konflikte durch??)

  […] Einem modernen Barden gleich entstaubt Stefan Sell alte Verse und präsentiert die Großen der Weltliteratur. Durch seine vergnügliche Interpretation erscheinen die Texte von Cervantes und Shakespeare aktueller denn je. Brauchen wir in Politik und Wirtschaft Leute, die vertuschen und schönreden. Sind Überwachungs- und Abhöraffären wünschenswert? Gehört Irreführung, das Einreden von Dingen, an die man selbst nicht glaubt, unweigerlich zur Wahrheit? Fängt man nur mit dem „Lügenköder den Wahrheitskarpfen?“ [...] - QUELLE: Stefan Sell (leserattenservice.de)

 (Kommentar: Wurde er infiziert von diesen Geschichten und in Folge Meister genau darin?)

 [...] Don Quijote träumt davon die Welt zu verbessern. Ein Literaturkonzert, bei dem der Kampf gegen Windmühlen spürbar wird: Was passiert, wenn ein Rührmixer Flamenco spielt? [...] - QUELLE: Stefan Sell (leserattenservice.de)

(Kommentar: Ich glaube nicht, dass es Stefan Sell darum ging, die Welt zu verbessern. Dafür war er nach meiner Einschätzung viel zu sehr einzig und allein auf sich konzentriert. Hinzu kommt, dass ich ein genehmigtes und von mir persönlich geführtes Video-Interview mit Stefan Sell und Hennes Holz vorliegen habe. Beide haben gemeinsam das Programm "Ah!Don Quijote" geplant. Schon in einem von mir geführten Interview geht es um genau diese Definition einer eigenen Wahrheit. Was ist wahr? Von welchen Idealen spricht Stefan Sell, "für die er bereit ist, sich lächerlich zu machen" ? (Zitat aus dem Video)

So bleibt mir zwar, dass ich die Brüder immer besser "verstehe", aber ich verstehe sie natürlich überhaupt nicht und ich will sie auch nicht verstehen. Hamlet und Don Quijote sind für mich Figuren, die sich in eine krasse Realitätsferne verloren und dadurch Ihr eigenes Scheitern bis zum tatsächlichen Untergang verursacht haben. Wie sehr sich diese Liebe und Widmung später im Rahmen einer daraus resultierenden Affinität im Leben und dem eigenen Lebensende widerspiegelt, werden wir alle erfahren. Zuletzt erliegt bekannterweise auch Hamlet seinen Verletzungen. Im letzten Moment bittet er seinen Freund Horatio, seine Geschichte in die Welt hinauszutragen. Und genau das tut Horatio.

Die Frage ist nur, ob diese tragische Geschichte in die Welt getragen werden muss?

Unbedingt vielleicht sogar, ... als Warnung an die Verblendung durch realitätsferne Deutungen des wahren Lebens. Das Leben selbst ist so wertvoll und einmalig, dass es Sinn macht, mit offenen Augen die Schönheit zu genießen und zu ehren. Rede also niemand von Achtsamkeit, lebe sie. 

Ein Verrückter, der mit Trugbildern kämpft?

[...] Ein Verrückter, der mit Trugbildern kämpft.

Von Anfang an ist Don Quijote eine komische Figur, ein Verrückter, der in einer wahnhaften Wirklichkeit lebt, inmitten von Trugbildern, die seine Phantasie ihm vorgaukelt und ihn die unsinnigsten Abenteuer erleben lässt: den sprichwörtlichen Kampf mit den Windmühlen, die er für Riesen hält, oder die Niedermetzelung der Schafherde, in der er ein feindliches Heer vermutet. Aus allen Abenteuern geht er mit Schaden hervor, verprügelt, verspottet, gedemütigt, ohne je aus seinem Wahn zu erwachen. Von Anfang bis Ende ist er ein Ausbund an Narrheit. [...]

QUELLE: Miguel de Cervantes: "Don Quijote" | NDR.de - Kultur - Buch

Ist Sancho Panza in Wahrheit Don Quijotes Bruder?

Wenn aber Cervantes Don Quijote es mit der Wahrheit nicht so genau nahm, dann sei es auch mir erlaubt eine neue Variante von Don Quijote und Sancho Panza in's Spiel zu bringen. Scheint es möglich, dass Don Quijote Stefan Sell nicht nur inspiriert, sondern vielleicht sogar infiziert hat. Dann macht es Sinn eine Episode dieser Geschichte ganz neu zu erzählen und sie ein wenig in die Neuzeit zu entführen.

Gibt es Anzeichen, dass es Don Quijote in der Gegenwart weiterhin mit der Wahrheit nicht so genau nimmt? Ist Sancho Panza nicht nur Knappe, sondern vielmehr der ältere Bruder? Gibt es einen Dritten im "Bunde"? Kämpft der eine mit Windmühlen, der andere mit Humor?

Gegen welche Windmühlen kämpft er sein Leben lang? Welche Windmühlen kämpfen vielleicht heute gegen ihn?

Ein wunderbares und lesenswertes kleines Buch könnte so entstehen:

"Dort erkennt der Todkranke seinen Irrtum an und stirbt"

Geht es Don Quijote und Sancho Panza darum nach vielem Scheitern einmal im Leben zu gewinnen?

Nicht gegen wirkliche Feinde. Nein, unrühmlich - wie Don Quijote -...in diesem Fall gegen den eigenen jüngsten Bruder? Gibt es also eventuell einen Dritten im Bunde? Aber auch in meiner Geschichte zeigt sich, dass keiner der Kämpfe gewonnen werden kann.

Auf WIKIPEDIA findet sich in einer Zusammenfassung folgende Stelle:

[...] Don Quijote, der seine Dulcinea vergebens sucht, kehrt nach einem Zweikampf als geschlagener Ritter in sein Dorf zurück. Dort erkennt der Todkranke seinen Irrtum an und stirbt. [...]

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Don_Quijote